Um das verstehen zu können, schauen wir mal gut 100 Jahre zurück. Damals gab es eine historisch wahrscheinlich einmalige Situation: die Märkte waren ruhig und träge.
Was soll das heißen? Das heißt in erster Linie, dass die Unternehmen sicher sein konnten, dass sie alles, was sie herstellen, auch verkaufen können. Die Nachfrage
nach Produkten war groß genug. Die privaten Haushalte fingen an, sich elektrische Geräte, Telefone, Autos usw. anzuschaffen. Infrastruktur und industrielle Fertigung waren im Aufbau. Der Absatz
war kein großes Thema.
Das war eine sehr komfortable Situation für Unternehmen, so dass sie den Blick nach innen wenden konnten und sich mit sich selbst und ihren Prozessen beschäftigen konnten. Denn was im Markt und beim Kunden passierte, konnte ignoriert werden. Und so begann die Phase der Optimierung von Prozessen, die heute (fast bis zur Unkenntlichkeit) verschlankt sind.
Diese optimierten Prozesse sind allerdings darauf aufgebaut, dass immer derselbe Ablauf stattfindet. Wird eine Änderung im Ablauf erforderlich, zum Beispiel weil ein Kunde einen neuen Wunsch an das Produkt hat, erfordert das einigen Aufwand. Deshalb stoßen Änderungswünsche zunächst auf viel Widerstand und man versucht, sie auszusitzen. Und erst wenn wirklich klar ist, dass man darum nicht herumkommt, werden dem Standardprozess zähneknirschend und langsam neue Regeln vorgegeben. Das macht ihn freilich nicht flexibler.
Seit rund 50 Jahren kommen die Märkte, je nach Branche, nun mit technischem Fortschritt, Globalisierung und Digitalisierung zunehmend in Bewegung. Besonders ärgerlich ist für Unternehmen das Internet und damit die sofortige Angebots- und Preistransparenz über globale Märkte ohne nennenwerten Aufwand. Die Unternehmen können es sich seitdem immer weniger leisten, Kundenwünsche zu ignorieren. Und Kunden und Märkte verändern sich immer schneller.
Das bringt das Management ins Schwitzen. Diese schönen Bwl-Tools, die bei ruhigen Märkten Garant dafür waren, dass es immer besser läuft, wenn man nur weiter macht mit Costcutting, mehr IT und präziserer Steuerung greifen nicht mehr überall. (Rund die Hälfte der Prozesse bleibt auch in Zukunft berechenbar, die andere nicht.)
Und das führt in vielen Unternehmen zu einer paradoxen und zugleich allzu menschlichen Konstellation: anstatt einen Schritt zurück zu treten, die veränderte Gesamtsituation wahrzunehmen und die Abläufe flexibler und schneller, vor allem neu zu gestalten, hat bei vielen Managern die Angst, die Kontrolle zu verlieren eingesetzt.
Bei Angst übernimmt das Echsenhirn, da ist mit kognitiver, gar kreativer Lösungssuche nicht mehr viel her. Deshalb heißt die Devise: diese neue dynamische, komplexe und immer schnellere Umwelt bitte wieder einfangen. Das klappt nicht und macht noch mehr Angst. Und so werden die Instrumente für ruhige Märkte umso verbissener angewendet:
- als es noch einen genormten Standardprozess gab, war es möglich und sinnvoll, ähnliche Abläufe zusammen zu fassen und von den anderen ab-zuteilen. So entstanden die Ab-Teilungen. Um sich ab-teilungsübergreifend abzustimmen, wurden Meetings einberufen. Heute sitzen viele Manager den überwiegenden Teil des Arbeitstages in Meetings, um zu versuchen, permanent einen neuen Standard zu definieren, die Prozesse anzupassen, um noch irgendwie hinterher zu kommen und während sie das tun, entstehen schon wieder neue Änderungsanforderungen. Sie erkennen schon: diese Job description passt zu Sisyphos.
- Und weil das wirklich frustrierend ist, wird die komplexe und nicht einzufangende Wirklichkeit kurzerhand reduziert, genauer gesagt simplifiziert: auf Kennzahlen. Chef tut so, als ginge es nur um Zahlen. Und alle spielen, wohl oder übel, mit.Welche Zahlen gerade wichtig sind, kann keiner so genau erklären, vorhersagen oder nachvollziehen: da hilft dann das Top Management mit kurz getakteten Zurufen: „Priorisieren, ach ne, doch depriorisieren. Anyway, erstellen Sie mal ein paar Charts.“Und das führt dann sehr effektiv zu einer anderen Zahl: Gallup meldet 84% nicht engagierte MitarbeiterInnen. Die diesen Zirkus einfach nicht mehr witzig finden.
Man weiß nicht, ob man weinen oder lachen soll, wenn man dieses Possenspiel beobachtet. Definitiv geht es aber sehr vielen Menschen sehr schlecht damit.
Um den Laden umzukrempeln, schneller und beweglicher zu machen, wieder Sinn und Spaß in die Arbeit zu bringen, braucht es Könner:
- die Fähigkeiten der MitarbeiterInnen kommen voll zum tragen, wenn man sie machen lässt und nicht dauernd mit Reportings, Meetings, Dokus, Genehmigungsverfahren oder ähnlichem vom Arbeiten abhält
- auf diese Kontrollinstrumente kann man verzichten, wenn es eine Vertrauensbasis gibt, die fällt aber nicht vom Himmel. Und es ist schon eine anspruchsvolle Kehrtwendung, vom ekstatischen Tanz um die KPIs auf Wertschätzung, Augenhöhe und Entscheidungsfreiheit umzuschwenken
- das fordert den Menschen in Verantwortung einiges ab, vor allem persönliche Integrität und wie soll man die erreichen, wenn die Angst regiert und die eigene Weiterentwicklung blockt. Das Echsenhirn kümmert sich ums nackte Überleben. Fertig.
Wer soll das können, wo man menschliche Integrität, die persönliche Entwicklung in die Führungsrolle ohnehin in keinem Studiengang in angemessenem Umfang findet. Die Glücklichen hatten zu Beginn ihrer Laufbahn ein gutes Vorbild, an dem sie sich viel abgucken konnten. Die anderen hangeln sich vom 2-Tages-Seminar über ein paar Fachartikel zum nächsten Coaching und entwickeln alle möglichen Ideen darüber, wie sie sich am besten geben, um „professionell“ zu erscheinen. Authentizität ist anders.
Deshalb gibt es jetzt die Meisterklasse. Wir nehmen uns ein ganzes Jahr Zeit, acht Wochenenden, insgesamt 20 Tage, kleiner Kreis, gute Leute, um Zeit für Lernen, Staunen, Entwickeln, Ausprobieren, Scheitern und daraus weiter zu lernen zu haben.